Die Zersiedlung stößt an ihre Grenzen: Ist Texas das nächste Kalifornien?

Die “Gelbe Rose von Texas” steht in voller Blüte. Das war vor einigen Wochen die Titelstory des Time Magazines, geschrieben von dem libertären Ökonomen Tyler Cowen. Wie für den Libertarismus üblich, ist der ganze Artikel nur für zahlende Abonnenten abrufbar. Aber Kern der Argumentation ist laut Time folgender: Texas ist die Zukunft, weil seine Städte die landesweit am schnellsten wachsenden sind. Seine Städte wachsen so schnell, weil alles so günstig ist. Alles ist so günstig, weil es keine Einkommenssteuer gibt. Haben wir schon erwähnt, dass alles so günstig ist?

Die Texaner, die sich gerne mal aufblasen, selbst wenn ihr Staat nicht auf den Titelseiten der großen Nachrichtblätter steht, sind natürlich begeistert. Aber bevor unsere Lince Dance tanzenden, Steakhouse liebendende texanischen Freunde nicht mehr zu bremsen sind, lasst uns nicht vergessen, dass Aufschwünge nur selten ewig andauern. Denn das ist genau das, was in einem anderen großen US-Staaten passiert ist. Und auch wenn sich die Texaner dagegen wehren mit ihnen verglichen zu werden, sagt dies doch einiges über ihre Zukunft aus: Kalifornien.

Texas und Kalifornien haben, trotz tausend Meilen Entfernung und radikal unterschiedlichen Geografien, überraschend ähnliche Geschichten. Beide gehörten einmal zu Mexiko und erlebten Zeiten als unabhängige Republiken, bevor sie in die Vereinigten Staaten mit aufgenommen wurden. Was die beiden Staaten aber wirklich gemein haben ist, dass sie beide auf ressourcenbasierenden Konjunkturaufschwüngen erbaut wurden. Das Gold brachte in den 1850ern die ersten Siedler in Schaaren nach Kalifornien. Ein halbes Jahrhundert später begann Texas mit der Entdeckung des schwarzen Goldes: den gewaltigen Ölreserven des Staates.

Aber das waren nur die ersten Konjunkturaufschwünge. Nach dem Endes 2. Weltkriegs begann für den Staat eine auf zunehmender Zersiedlung basierende rapide Expansion. Kalifornien übernahm die Führung. Die Bucht von San Francisco war gesäumt von Wohnbauten. Das San Fernando Valley nahe Los Angeles wurde zu “Amerikas Vorort”. Als die inneren Vororte komplett ausgebaut waren, schauten die Bauunternehmer schließlich immer weiter nach draußen, zu Städten wie Concord im Norden Kaliforniens und Palmdale im Süden.

In Texas hat es länger gedauert bis zum Start des Zersiedlungsbooms, aber irgendwann nahm er dann Fahrt auf. Heute ist die Zersiedlung in Texas stärker als jemals zuvor. Der Großteil des explosiven Wachstums fand in den äußeren Vororten der Großstädte statt. Die ältere Bevölkerung erinnert sich gerne daran, als es noch Ackerland zwischen Großstädten wie Houston und Dallas und seinen umliegenden Städten gab. Heute ist alles voll mit identischen Wohngebäuden. Houston wurde als „der Tropfen, der den Osten Texas‘ verschlungen hat“ bezeichnet. In Dallas hat die Dallas Morning letztes Jahr eine Artikelreihe herausgebracht, die über die Zersiedlung in der Gegend berichtet und spekuliert, dass eines Tages die sich ausbreitenden Vorstädte den ganzen Weg nach Oklahoma machen.

Wenn man es genau nimmt, dann ist die Zersiedlung der wahre Grund dafür, dass Texas von Cowen und Anderen so viel Lob als „Staat der Möglichkeiten“ bekommt. Den Boom in Texas kann man nicht nur den niedrigen Steuern zurechnen. Andere Staaten wie beispielsweise North Dakota haben auch niedrige Steuern, boomen aber nicht so. Eine bessere Erklärung müsste vielmehr die solide staatliche Grundlage aus Infrastruktur und öffentlichen Einrichtungen, wie den angesehenen öffentlichen Universitäten, mit einbeziehen. Und ja, die vom Staat fest etablierten Industrien spielen ebenfalls eine Rolle. Yahoo Finance beobachtet, dass Houston einen sogenannten „Cluster Effekt“ geschaffen hat, um ölrelevante Jobs anzuziehen. Aber niemand kann verneinen, dass die Schaffung von neuen Vororten kein Schlüsselelementen dabei ist, wenn es darum geht der texanischen Wirtschaft einen Schub zu verpassen. Und ein Gutachten hat im August herausgefunden, dass die Arbeitsplätze im Baugewerbe mit 611.000 Menschen knapp 5% der gesamten Arbeitskraft des Staates ausmachen.

Wird dieser Zersiedlungs-Segen auch langfristig weitergehen? Es ist richtig, dass ein vorstädtischer Wohnungsbau, wie beim Ölboom in Texas und dem Goldrausch in Kalifornien für eine vorläufige Schwemme des Wohlstands sorgen kann. Aber uns wird gerade erst klar, dass die Zersiedlung, genauso wie der Ressourcen-Boom, ein Ende haben kann. Auch wenn die libertär geprägten Städteplaner Texas‘ bestreiten, dass die Zersiedlung ein Limit hat, so gibt es doch eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass rein ökonomische Faktoren dem zersiedlungsbasierten Wachstum Texas‘ ein Ende bereiten werden. Planetizen hebt eine Studie hervor, die besagt, dass die Realisierbarkeit von Zersiedlung als ökonomischer Motor stark sinkt, sobald die Arbeitswege zur Innenstadt signifikant länger als 30 Minuten werden.

Alles was die Texaner dafür als Beweis tuen müssen, ist auf ihren Vorgänger Kalifornien zu schauen. Dort hat die Zersiedlung das Limit erreicht. Und die Städte, denen es am schlechtesten geht, sind die Speckgürtel wie San Bernardino und Stockton, die erst vor kurzem Insolvenz angemeldet haben. Trotz seines momentanen Getöses ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Texas irgendwann auch sein letztes Gefecht kämpfen wird. Und anders als der revolutionäre Sam Houston, wird die Macht der Zersiedlung nur wenig wahrscheinlich erfolgreich sein. Freilich war sie das auch noch nicht im stadtnahen Kalifornien.

Auch wenn Texas‘ Vorortboom irgendwann zu Ende gehen muss, bedeutet das nicht gleichzeitig, dass es dort keinen Platz für Neuanfänge gibt. Wenn man sich Kalifornien anschaut, bekommt man ein Gefühl dafür, was in einer Zeit nach der Zersiedlung Texas‘ kommen könnte. Auch wenn entlegene Vororte in dem „Goldenen Staat“ verwüstet wurden, gibt es ein neuentdecktes Interesse an den Innenstädten; während die Probleme bestehen bleiben, gibt es Hinweise darauf, dass Orte wie das Stadtzentrum von Los Angeles und selbst das dauernd unruhige Oakland Fortschritte machen. Sogar die Innenstädte von Texas zeigen erste Anzeichen von Veränderung. Austin sieht aus, als wäre es auf dem Weg das nächste Portland zu werden und die Innenstädte von Houston und Dallas erfahren ebenfalls einen Aufwärtstrend.

Wirklich, das was gerade in Texas passiert, ist mehr oder weniger das Gleiche, was überall kurz vor Stabilisierung einer Boom-Wirtschaft passiert. Gleiches geschah nicht nur in Kalifornien, sondern auch an der Ostküste Ende der 1800er und ein paar Jahrhunderte zuvor in den Hauptstädten Europas. Überbordende, boombasierende Wirtschaften verändern sich hin zu langweiligeren, aber stabileren, bewährten Wirtschaften. In Texas führt dies zu einer Veränderung weg von der Zersiedlung und zu einem ernsten Blick darauf, wie Dinge in etablierten Innenstädten besser gemacht werden können – etwas, dass wahrscheinlich niemals auf dem Titelbild des Time Magazines erscheinen wird, so wie es immer ist bei guten Nachrichten.


Drew Reed ist Onlinemedien-Produzent und Community-Aktivist mit Spezialisierung auf nachhaltiges Transportwesen. Er lebt in Buenos Aires.

Bild von Stu Seeger