Graswurzelbewegung: Wenn Bürger ihr Viertel verändern

Es ist Samstagabend in dem kleinen, rechtsrheinischen Kölner Stadtteil Neubrück. Wie schon so oft, ist auch am heutigen Abend wieder die Polizei vor Ort. Diesmal wegen Ruhestörung. Letztes Mal wegen Vandalismus. Und beim nächstes Mal vielleicht wieder wegen Belästigung. Schauplatz dieser Szenarien ist ein Platz, den man von seiner Größe her eher in der Kölner Innenstadt vermuten würde als in einem 9000-Einwohner-Ort. In den 60er Jahren als Dreh- und Angelpunkt für die Bewohner konzipiert, ist dieser Platz heute kaum mehr als eine große Freifläche, die vorrangig als „Durchgangsstraße“ genutzt wird. Oder durch Zerstörung, Lärmbelästigung und Vermüllung zum Ärgernis für Bürger und Anwohner wird.

Irgendwann im Frühjahr 2012 war dann die Geduld der Anwohner erschöpft und es war klar: es muss sich endlich etwas ändern. Mit Unterstützung des örtlichen Bürgervereins und Herr Hansmann vom Veedel e.V. wurde also die Interessengemeinschaft (IG) Marktplatz gegründet. Schulen, Einzelhändler, Anwohner, das Seniorenheim und viele weitere schlossen sich darin zusammen, um gemeinsam für das Ziel „den Marktplatz als öffentlichen Raum für alle Bürger attraktiv und nutzbar zu halten“ zu kämpfen. Schnell war klar, dass sich das Ganze nicht innerhalb von ein paar Wochen erreichen lässt und so wurde ein dreistufiger Plan entwickelt.

Kurzfristig wollte man vor allem eine alternative Nutzung des Platzes etablieren, um diesen für die problemverursachenden Gruppen unattraktiv zu machen. Seit einiger Zeit also findet daher auf dem Platz nicht nur der wöchentliche Markt statt, sondern es wird regelmäßig Außenschach gespielt, ein  mobiler Bus der Caritas stellt Jugendlichen Spiel- und Sport-, aber auch Beratungsangebote zur Verfügung und die beiden Grundschulen verbringen Teile Ihrer Übermittagsbetreuung dort. Laut Aussage der Anwohner scheinen sich erste Erfolge abzuzeichnen.

Doch um den Erfolg auch mittelfristig zu sichern, werden teils durch private, teils durch öffentliche Initiativen erste kleine bauliche Anpassungen vorgenommen – zum Beispiel werden Sitzgelegenheiten vom Rand des Platzes in die Mitte verlegt oder versiegelte Flächen aufgebrochen und bepflanzt.

Aktueller Höhepunkt und Einleitung für langfristige und grundlegende städtebauliche Maßnahmen war ein Ideenwettbewerb der FH Köln, der an diesem Samstag mit einer feierlichen Preisverleihung zu Ende ging. Zunächst wurden laut Prof. Dutczak, der als Dozent an der Fakultät für Architektur an der FH Köln das Projekt mitbetreute, die Probleme des Platzes ermittelt: zu groß, keine platztypische Einfassung und das Fehlen von Nutzungsmöglichkeiten (z.B. Gastronomie). Im Anschluss daran machten sich 120 Studenten ans Werk, die Probleme dieses Platzes bestmöglich nach ihren Vorstellungen zu lösen. Ziel des Wettbewerbs war für Prof. Dutczak insbesondere, eine politische Diskussion anzuregen, vielleicht sogar mit den Entwürfen zu provozieren und Ideen zu entwickeln, die möglicherweise auch abseits des Realitätsbezugs stehen. Nach einer ersten Vorauswahl hatten dann letztendlich 13 Gruppen die Chance, ihre Werke eine Woche lang von den Neubrücker Bürgern kritisch unter die Lupe nehmen zu lassen. 250 Bürger folgten der Aufforderung – sie diskutierten, kommentierten und bewerteten die Arbeiten. Bei einigen lösten die Entwürfe regelrechte Begeisterungsstürme aus, bei anderen trafen sie wiederum auf komplette Ablehnung. Letztendlich entschieden aber nicht die einzelnen Bürger direkt über die Sieger des Wettbewerbes, sondern eine vielfältige Jury aus Politik, Wirtschaft, Kirche und Bürgern. Was natürlich nicht heißt, dass die Ideen und Anregungen der anderen Bürger völlig verloren gehen – ganz im Gegenteil! Denn wie Frau Schrage im Namen des Bürgervereins mitteilte, werde „jede einzelne Anregung mit aufgenommen und geprüft“.

Letztendlich gab es dann unter den Studenten zwei Gruppen, die den ersten Platz belegten, und jeweils eine auf dem dritten und vierten Platz. Bewertet wurden die Projekte insbesondere unter zwei Aspekten:

  • das Potential des städtebaulichen Konzeptes für eine grundsätzliche Umsetzung in Schritten
  • und die Integration des Gebäudebestandes in den städtebaulichen Kontext.

Das Konzept von Clara Brenner, Dimitra Hampidou und Christoph Ungethüm, welches den 3. Platz belegte

(Wer sich die Konzepte, die Entscheidungsfindung und die Juryzusammensetzung nochmal genauer anschauen möchte, findet hier die ausführlichen Details)

Nun gilt es, die durch den Wettbewerb generierte Aufmerksamkeit zu Nutzen und dafür zu sorgen, dass die Ideen nicht einfach verpuffen, sondern sie den Ausgangspunkt für eine konkrete Umsetzung bilden. Gleichzeitig ist es aber auch notwendig, die Thematik einem breiteren Publikum zugänglich zu machen und die unterschiedlichsten Teile der Bevölkerung in den weiteren Prozess mit einzubinden. Denn was auf der Preisverleihung deutlich wurde, war, dass die Anwesenden kaum den realen Durchschnitt der Neubrücker Bevölkerung wiederspiegelten. In keinem Fall soll und kann dies aber den Wert der bisher geleisteten Arbeit mindern. Vielmehr sollten kreative Denkansätze und Beispiele aus anderen Städten dazu genutzt werden, das volle Potential auszuschöpfen. Denn was die Arbeit der IG Marktplatz und das Mitwirken der Studenten gezeigt hat, ist, dass die Bürger die Zukunft ihrer Stadt mitgestalten wollen.


Bilder von Clara Brenner