Im Mai dieses Jahres gab es in Isla Vista, Kalifornien, in der Nähe des Campus der UC Santa Barbara, eine brutale Schießerei. In der Regel würde ich dieses Thema hier nicht kommentieren, da es in keiner Weise direkt in Verbindung zur nachhaltigen Stadtplanung steht. Aber als ehemaliger Student der UCSB und Einwohner von Isla Vista hat mich dieser Vorfall schwer getroffen. Für mich ist diese Stadt besonders und zwar nicht nur weil ich hier gelebt habe, sondern vielmehr weil seine Fahrradkultur einen erheblichen Einfluss darauf hatte mich für ein nachhaltiges Verkehrswesen zu begeistern. Ich würde nicht das tun was ich heute tue, hätte ich nicht dort gelebt.
Mein Redakteur warnte mich davor, nicht zu gefühllos beim Schreiben des Artikels zu sein und obwohl ich anfangs geplant hatte ihn etwas früher zu schreiben, habe ich gedacht, dass es mir helfen würde den Artikel so respektvoll wie möglich zu verfassen, wenn ich ein paar Wochen warte. Ich will auf die Schießerei selbst gar nicht allzu viel eingehen; einige meiner Gedanken dazu habe ich bereits anderswo kundgetan und für mehr Details gibt es unzählige Orte zum nachlesen. Aber weil die Stadt nun im weltweiten Rampenlicht steht, ist meine Hoffnung, auch wenn der Ton verständlicherweise durch diese Tragödie geprägt ist, dass die Menschen bei Isla Vista eben auch an seine innovative Nutzung von Fahrrad-Infrastrukturen und die Programme zur Schaffung einer Kultur des nachhaltigen Verkehrswesens denken.
Die Geschichte des Radfahrens in Isla Vista und an der UCSB geht zurück auf das Jahr 1954, als die Universität an seinen heutigen Standort zog. Radfahren war immer eine attraktive Alternative für Studenten und in den 1970ern reagierte der Campus darauf, indem er ein Netz aus speziell dafür vorgesehenen erstklassigen Radwegen errichtete. In Isla Vista gibt es keine entsprechenden Radwege, dafür aber Verkehrsberuhigungen durch Barrieren, die nur Fahrräder überqueren können und dadurch helfen das Radfahren zu bevorzugen. Heute weisen die UCSB und Isla Vista über 10.000 Fahrradstellplätze und zahlreiche Fahrradeinrichtungen auf – organisiert sowohl vom zur Uni gehörenden Radverband als auch privaten Gruppen.
Während meiner Zeit an der UCSB, von 2004 bis 2008, war ich beeindruckt wie ernst die Planer die Radinfrastruktur genommen hatten. Während meinem ersten Jahr konnte ich dank getrennter Fahrradunterführungen von meinem Studentenwohnheim, das knapp eine Meile vom Campus entfernt lag, direkt zum Unterricht fahren – ohne dabei an einer einzigen Ampel halten zu müssen. Es ist auch der einzige Ort an dem ich jemals war, an dem ich in einem Stau komplett aus Fahrrädern stecken geblieben bin.
Der bemerkenswerteste Teil dieses Erfolgs der Fahrradfreundlichkeit ist aber der Ort an dem er geschah: Südkalifornien, eine Gegend die bekannt ist für seine wenig nachhaltige und autoorientierte Planungspolitik. Ich bin in Südkalifornien in der Nähe von Los Angeles aufgewachsen und dieser Autozentrismus war für mich immer ein beschämender Teil in unserer sonst so positiven regionalen Identität. Wenn also Isla Vista den Spieß umdrehen kann – weg von einer autozentrierten Planung hin dazu, dass das Radfahren zu einem wirklichen Bestandteil bei der Verkehrsgleichung wird – kann das nicht auch in anderen Gegenden passieren?
Zugegebenermaßen ist die Situation für die UCSB und Isla Vista einzigartig, sowohl was die das Radfahren auf dem Unigelände begünstigende Landnutzung angeht, als auch die Nähe zum dicht besiedelten Isla Vista, welches getrennt liegt vom Rest Santa Barbaras. Nichtsdestotrotz zeigt es, dass mit der richtigen Planung, der strategischen Lage rund um dicht besiedelte Gebiete und entsprechende Hilfsprogramme für die Nutzer ein wirklicher Fortschritt für das Radfahren erreicht wird – selbst in den autoorientiertesten Städten. Nachdem ich Isla Vista verlassen hatte, machte meine Heimatstadt Long Beach einen großen Schritt in Richtung Fahrradfreundlichkeit und zeigte damit, dass Radfahren nicht nur etwas für verrückte Studenten ist, sondern eine ernste Form der Fortbewegung – mit vielen Vorteilen gegenüber dem Autofahren. Irgendwann könnten fahrradorientierte Verkehrsrichtlinien auch die gesamte Region erreichen.
Also liebe Leser, wenn ihr nun aufgehört habt die weitreichenden Folgen der Tragödie von Isla Vista zu bedenken, geht auf jeden Fall weiter und betrachtet auch die in den Mainstream-Medien herausgestellten Aspekte, zum Beispiel Sexismus und Waffenkontrolle. Aber so verlockend es auch sein mag, denkt bei Isla Vista nicht nur an einen Ort des Verbrechens und der potentiellen Brutstätte für Gewalt. Betrachtet ihn vielmehr auch als Symbol der Hoffnung darauf, dass eine autoabhängige Region eines Tages wirkliche Schritte in Richtung einer nachhaltigen Zukunft gehen könnte.