Was passiert wenn ein ambitioniertes und unvollendetes kommunistisches Bauvorhaben auf das unkontrollierbare Wachstum der Natur trifft? Ein paar Kilometer vom historischen Zentrum der rumänischen Hauptstadt Bukarest entfernt gibt es einen einzigartigen ‘Ring’ aus Beton. Von außen betrachtet sieht die Betonmauer aus wie eine undurchdringliche militärische Festung. Manch unerschrockener Besucher kommt, um diese Mauern zu erklimmen und manch anderer einfach, um die irgendwie überraschende Aussicht innerhalb dieser gewaltigen Betonmassen zu ‘genießen’: eine grünen Oase aus Pflanzen, Sümpfen, Zugvögeln, Fischen, Hunden und einigen Zigeunerfamilien. All diese Dinge befinden sich mitten in der Stadt, nur ein paar Meter von den Wohngegenden und Shoppingmalls entfernt.
Währen des Kommunismus gab es viele ambitionierte Entwicklungspläne in Rumänien. Einer von diesen beinhaltete den Bau eines künstlichen Sees mit Verbindung zum Fluss Dâmboviţa – eine Art Mini-Hafen mitten in der Stadt. Der Betonumfang dieses künstlichen Sees beträgt fast 4 Kilometer und der ‘See’ selbst hat eine Fläche von über 190 Hektar. Allerdings unterliefen seinen kommunistischen Ingenieuren ein paar Fehler bei der Kalkulation der Bodenhöhe, weshalb die große Mauer niemals mit Wasser gefüllt wurde. Ein künstlicher See, mit der Besonderheit, dass er keine große Menge an Wasser enthält und auch nie enthalten hat.
Nach 1989, im Anschluss an die Revolution und den Fall des kommunistischen Regimes, wurde das Projekt unvollendet gelassen. Langsam hat die Natur es zurückerobert. Einige Grundwasserquellen, die von den Konstrukteuren nicht bedacht worden waren, begannen aus dem Boden zu sprudeln und dabei Fischarten mitzubringen, die in dieser Gegend ursprünglich nicht beheimatet waren. Die große Fläche verwandelte sich langsam in ein Sumpfgebiet mit Zugvögeln, die zwar auch nicht typisch für die Stadt waren, aber dort Rast machten und so Samen anderer Pflanzen mitbrachten.
In den letzten Jahren wird das Sumpfgebiet für öffentliche Einrichtungen und private Investoren immer interessanter. Die Gegend beheimatet 90 verschiedene Vogelarten, die in dieser Gegend ziemlich selten vorkommen und der Umweltminister will den See, auf Grund seines einzigartigen Status in Rumänien und in der Welt, in ein städtisches Naturschutzgebiet verwandeln. Aber andere wollen lieber in den Boden investieren. Eine Vielzahl an Ideen ist entstanden, vom Golfplatz bis hin zur Entwicklung einer modernen Wohngegend. Allerdings scheint der Boden auf Grund seiner sumpfigen Beschaffenheit nicht wirklich geeignet zum Bauen. Außerdem gehört die Gegend derzeitig dem Entwicklungsministerium und eine Reihe von Umweltschützern und großen Nichtregierungsorganisationen unterstützt den potentiellen Status des Projekts als städtisches Naturschutzgebiet. Insbesondere veröffentlichte der rumänische National Geographic (Mai 2012 Nr. 109) einen langen Artikel mit etlichen Fotos der einzigartigen Vögel und Säugetiere aus der Gegend, um ein Bewusstsein für das Projekt zu schaffen.
Ich hatte die Gelegenheit den Văcăreşti-See während eines Programms der Ion Mincu Universität in Bukarest zum Thema Entwicklung der europäischen Peripherien zu besuchen (hier ein Video-Interview ). Es ist ein einzigartiger und surrealer Ort, der es definitiv wert ist bewahrt und beobachtet zu werden. Die Entwicklung der Natur und wie sie die bebaute Umgebung zurückerobert hat, hat einen ganz besonderen Charme. Vielleicht wird der Beton der deine Stadt zusammenhält eines Tages der Entwicklung und dem Schicksal des Văcăreşti-Sees folgen.